Institut für Hochschulrecht

Direktor René Schneider

Institute for University Law, est. 1993
Schneider  Institute  Breul 16  48143 Münster  Germany


Der Bremer AStA ist kein Einzelfall

Von René Schneider
in: freiheit der wissenschaft,
fdw 2/98, S. 12-15

Der Bericht von Carsten Ballandis (vgl. fdw 1/98, S. 10 ff.) läßt sich mühelos fortsetzen: Immer mehr Studentenschaften werden verurteilt, weil sie das "allgemeinpolitische Mandat" (APM) für sich in Anspruch nehmen und "autonome" CASTOR-Gegner, die PKK oder die RAF aktiver unterstützen als ihre unfreiwilligen - aber zahlungspflichtigen - Zwangsmitglieder.

Diese Prozesse werden vom Institut für Hochschulrecht, einer privaten Forschungsstelle außerhalb der Westfälischen Wilhelms-Universität, juristisch begleitet. Daraus ergibt sich eine enge Zusammenarbeit mit dem Prozeßbevollmächtigten der Antragsteller und Kläger in Münster, Wuppertal, Gießen und Bremen, dem Rechtsanwalt Heinz-Jürgen Milse aus Münster, der die Einrichtungen des Instituts für seine Arbeit nutzt. Aber auch die Antragsteller oder Kläger in den übrigen Städten sind an einer informellen Zusammenarbeit, einem Wissenschaftsaustausch, interessiert. Sie profitieren alle von der Spezialisierung, die dem Institut für Hochschulrecht zu seiner besonderen Stellung in diesem Krieg an der akademischen Front verholfen hat.

Ich will den Leser nicht mit den Urteilen, Beschlüssen und Aktenzeichen langweilen, ich will statt dessen die spannende Geschichte erzählen, warum die "Klagewelle" 1994 ins Rollen kam und warum sie als staatsbürgerlich verantwortungsbewußte Verteidigung der Grundrechte und Widerstand gegen das links-extremistische Spektrum, soweit es im AStA vertreten ist oder zu seinem Umfeld gehört, unbedingte Unterstützung verdient.


1. Rückblick

Wer seine Zeitung aufmerksam liest, hat auch von der "Klagewelle" aus Münster gehört oder gelesen. Dabei ist es gleichgültig, ob das Blatt engagiert links ("taz, die tageszeitung" - uni spezial vom 3. April 1998), rechts ("Junge Freiheit" vom 13. Februar 1998) oder mittig ist: Seit 1996 haben FOCUS, Süddeutsche Zeitung, FAZ, und DIE WELT bundesweit berichtet, lokale und regionale Zeitungen haben die einzelnen Stationen der Klagewelle ausführlich begleitet und selbstverständlich haben die Hochschulmedien, allen voran die AStA-Zeitschriften, laut gejammert.

Vom "Maulkorb" war zu lesen, vom "Hobbykläger", "Dauerkläger" und "Querulanten". Die Rollen wurden vertauscht und die verurteilte Rechtsbrecherin (die Studentenschaft, vertreten durch den AStA), mutierte zu einem Unschuldslamm.


Uni Münster AStA/RAF



2. AStA-Kultur: "Wie ich mal bei der RAF war"

Damit fing alles an: Im Mai 1994 veröffentlichte der AStA der Westfälischen Wilhelms-Universität in einer "Kulturbeilage" seiner berüchtigten Zeitschrift "Links vorm Schloß" einen Artikel mit der Überschrift "Wie ich mal bei der RAF war" (von Holm Friebe) und schaffte damit den Sprung in die bundesweite Medienlandschaft.

In der BILD vom 25. Mai 1994 berichtete der angesehene Bonner Kolumnist Graf Nayhauß: »Der Anruf kam überraschend. Am Apparat war die Witwe eines von der RAF ermordeten ehemaligen Managers. Mit tränenerstickter Stimme las sie mir einen Artikel aus der ASTA-Zeitschrift "Links vorm Schloß" vor. ... Inhalt: Die Morde an Hanns-Martin Schleyer, Detlev Karsten Rohwedder und Alfred Herrhausen werden als Schulbubenstreiche verniedlicht. Kostproben: ... Jetzt wäre in Münster der Staatsanwalt am Zuge.«

Eigentlich wäre auch die Rechtsaufsicht über die Studentenschaft am Zuge gewesen, aber das Rektorat und die Ministerin Anke Brunn (SPD) ergingen sich in Untätigkeit - Bremer Verhältnisse wurden in Münster und Düsseldorf erfunden - 3000 Exemplare der "AStA-Kultur" konnten vier Wochen lang ungeniert verteilt werden.

Wieder war es Graf Nayhauß, der den Skandal anprangerte (BILD vom 2. Juni 1994): »Die Folge dieser Geschmacklosigkeit: Betroffenheit bis zu Tränen bei den Witwen der Ermordeten. Und die Reaktion bei den Verantwortlichen für die Schmähschrift? Eine Entschuldigung? Weit gefehlt. In der neuesten Ausgabe der Studentenzeitschrift wurde vom Öffentlichkeitsreferenten des ASTA, Thomas Behm, unter der Überschrift "Frau Rohwedder weint: Böse, böse, Holm Friebe" höhnisch eine Glosse nachgeschoben: ... Das Institut für Hochschulrecht Münster hat inzwischen gegen die AStA-Vorsitzende Heike Menke sowie die Autoren Holm Friebe und Thomas Behm (früher zuständig für das Schwulenreferat) Strafanzeige wegen Gewaltdarstellung (Paragraph 131 I StGB) und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (Paragraph 189 StGB) erstattet.«

Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe ging wesentlich weiter (Vermerk vom 21. Juni 1994, 2 BJs 66/94-4): »... Schon aufgrund dieser Passagen liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat nach Paragraph 129a Abs. 3 StGB in Form des verbotenen Werbens für die terroristische Vereinigung "Rote Armee Fraktion (RAF)" vor. Einer Gesamtbewertung der vorstehend wiedergegebenen Passage sowie des übrigen Inhalts des Beitrages läßt offenkundig werden, daß hier mit Mitteln der Propaganda zur Stärkung der terroristischen Vereinigung "Rote Armee Fraktion" im Wege der sog. Sympathiewerbung beigetragen und ein positiver Effekt für diese Vereinigung erzielt werden soll. Der Verfasser geht in seiner Darstellung über eine bloße Verharmlosung der "RAF" und ihrer terroristischen Anschläge hinaus. Die Opfer der Anschläge werden beschimpft und verächtlich gemacht und damit in einer Weise dargestellt, als wenn sie es nicht anders verdient hätten. Die Anschläge selbst einschließlich der Zerstörung des Gefängnisneubaus der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt werden zustimmend kommentiert, ... . Der Annahme eines Anfangsverdachts für eine Straftat nach Paragraph 129a Abs. 3 StGB steht auch nicht entgegen, daß der Verfasser die Darstellungsform einer ironischen, verschlüsselten Geschichte gewählt hat. ...«

Nur die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf und der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts ließen eine absolut unverdiente und unverständliche Milde walten (Einstellungsbescheid vom 13. März 1998, 3 OJs 93/94): »Die Schuld der Täter ist als gering anzusehen, da sie bei dem Vergleich mit Vergehen glei-

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cher Art nicht unerheblich unter dem Durchschnitt liegt. Das Werben mit dem Mittel der Propaganda stellt die schwächste Form des Werbens für eine terroristische Vereinigung dar. Vorliegend war ferner zu beachten, daß die Propagandawerbung in verschleierter Form erfolgte und überwiegend nur für den kundigen Leser aus der linken Szene - und damit für einen verhältnismäßig kleinen Personenkreis erkennbar - war. Da es sich um eine Studentenzeitschrift mit geringer Auflage handelt, erreichte die Werbung ohnehin nur einen zahlenmäßig beschränkten Leserkreis.«

Die AStA-Mitglieder, Autoren und Redakteure gingen also straffrei aus, aber inzwischen hatte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NW) seine berühmte einstweilige Anordnung erlassen, die seitdem als Grundsatzentscheidung in allen Verfahren gegen Studentenschaften gilt: Der Beschluß vom 6. September 1994 (OVG NW, 25 B 1507/94 - 1 L 332/94 Münster) mit dem ausdrücklichen Verbot, "politische Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen abzugeben, die nicht spezifisch und unmittelbar hochschulbezogen sind". Begründet wurde dieser Beschluß mit drei Beispielen "für die erfolgten Verstöße gegen das Verbot der Wahrnehmung des allgemeinpolitischen Mandats", insbesondere ein Interview mit Sympathiewerbung für die verbotene Terror-Organisation PKK und natürlich: "Wie ich mal bei der RAF war".


3. Gewaltenteilung ???

Wer jetzt glaubt, in dem gewaltengeteilten Rechtsstaat Nordrhein-Westfalen würde die unanfechtbare Entscheidung des obersten Verwaltungsgerichts von der Studentenschaft oder ihrer Rechtsaufsicht (Rektorat und Ministerium) artig befolgt, der irrt sich gewaltig. Die verurteilte Rechtsbrecherin fängt an zu querulieren: "Maulkorb für die Verfaßte Studierendenschaft" ... "Hier werden die demokratischen Rechte der Studierenden mit Füßen getreten" ... "Dieses Rechtskonstrukt ist unglaublich" ... "Es ist eines der reaktionärsten Urteile, die es je gegen Studierendenschaften gegeben hat" ... Deshalb werden wir alle Mittel ausschöpfen, um diesen zutiefst antidemokratischen Unrechts-Beschluß aus der Welt zu schaffen" ...

Auch die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD) zeigte sich "befremdet" über die OVG- Entscheidung. Die "Frankfurter Rundschau" vom 28. September 1994 berichtete: "Bei einem Gespräch, zu dem die Ministerin den Münsteraner Asta nach Düsseldorf eingeladen hatte, äußerte Anke Brunn Zweifel, ob diese Entscheidung mit dem nordrhein-westfälischen Universitätsgesetz übereinstimme. ... Sie ermutigte ihre Gäste aus Münster, das Universitätsgesetz voll auszuschöpfen ... . Nach Ansicht der Ministerin gehören dazu selbstverständlich auch die Ansichten des Lesben-Referats und des Referates für Internationales."

Noch weiter ging die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und forderte ein Gesetz zur Änderung des Universitätsgesetzes. Im Gesetzentwurf vom 13. Oktober 1994 (Drucksache 11/7856) erklärte sie: "Der aktuelle Rechtsstreit zwischen einem Studenten und der Studentenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster macht deutlich, wie unterschiedlich die Auslegung der thematischen Bandbreite der Belange ausfällt, die die Studentenschaft wahrnehmen soll." - Das Ziel war klar: Der berühmte Federstrich des Gesetzgebers sollte zu Recht biegen, was bis dahin als Unrecht verurteilt wurde. Das sind Nazi-Methoden unter grüner und roter Flagge!

Die Grünen waren 1994 noch nicht an der Regierung beteiligt und ihr Gesetzentwurf scheiterte an der Diskontinuität des Landtags im Wahljahr 1995. Deshalb vereinbarten sie im Koalitionsvertrag vom 1. Juli 1995 mit der SPD: "Auf der Grundlage der Anhörung des Landtags zur Frage des politischen Mandats werden wir bald die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen ziehen." Gemeint war offensichtlich der Gesetzentwurf vom 16. Januar 1997 (Drucksache 12/1708), der nach drei Lesungen im Landtag leicht verändert als Gesetz vom 1. Juli 1997 verkündet wurde, am 22. Juli 1997 in Kraft trat, und seit dem 16. Februar 1998 den Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen beschäftigt: Grund ist ein Normenkontrollantrag von 89 Mitgliedern

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der CDU-Fraktion (Az.: VfGH, 2/98). Die Entscheidung wird frühestens im Herbst erwartet - nach der Bundestagswahl natürlich ...


4. Freunde und Helfershelfer?

Zurück nach 1994: Am 27. September 1994 begann der Terror gegen den Kläger in Münster. Sein Name (ohne den Buchstaben "n") und ein riesiges rotes Hakenkreuz wurden auf die Haustür gesprüht. Anträge auf Objekt- und Personenschutz lehnte der Polizeipräsident schon am 29. September 1994 ab: "Ich sehe keinen sofortigen Handlungsbedarf". Am 1. Oktober 1994 wurde das Haus gegenüber der Wohnung des Klägers mit schwarzer Farbe besprüht: "RAF is watching you" und am 2. Oktober 1994 erbrachte die Staatsschutzabteilung der Polizei eine detektivische Meisterleistung: "Die Mauer liegt dem Haus Nr. 16/16a schräg gegenüber, während das Haus Nr. 18 dem Haus Nr. 16 unmittelbar gegenüber liegt. Sollte der Hinweisgeber Schneider mit dem Spruch gemeint sein, so wäre er vermutlich direkt auf die Hauswand des Hauses Nr. 18 gesprüht worden. ... Ein Bezug der Schmiererei zu Herrn Schneider kann hier daher nicht gesehen werden."

Natürlich wiederholte der Kläger seinen Antrag auf Polizeischutz, zuletzt am 11. Oktober 1994 in einem Telefongespräch mit dem Leiter der Staatsschutzabteilung, und natürlich ohne Erfolg.

Am 19. Oktober 1994 wurde der fehlende Buchstabe "n" auf der Haustür nachgetragen, die Wand daneben wurde beschmiert: "Das größte Schwein im Land ist der Denunziant Schneider" und drei Häuser weiter die Mord-Drohung aufgesprüht: "Schneider, we'll kill U!"

Die Polizei schrieb dem Kläger am 31. Oktober 1994: "Ein ständiger Objekt-/ und Personenschutz, wie von Ihnen gewünscht, ist leider nicht möglich. ... Ich möchte Sie bitten, sich bei Ereignissen mit zeitlicher Dringlichkeit unter dem Notruf 110 an die Einsatzleitstelle der Polizei zu wenden."

Nur der Verfassungsschutz schätzte die Situation realistischer ein: "Allerdings kann aufgrund der Strafanzeige des Antragstellers gegen den AStA der Universität Münster und der Gewaltbereitschaft von Personen des linksextremistischen/-terroristischen Spektrums eine Gefährdung nicht ausgeschlossen werden."


5. Von Bonn nach Berlin und Bielefeld

Wer die heftigen Reaktionen aus dem AStA-Umfeld bis hinauf in das Ministerium und in den Landtag verfolgt hat, und wer der Untätigkeit des Rektorats der Westfälischen Wilhelms-Universität, der Polizei und der Staatsanwaltschaft fassungslos gegenübersteht, der kann sich vorstellen, daß der Kläger von Münster, den seine Feinde als "das tapfere Schneiderlein" verhöhnen und mit einer Verleumdungskampagne nach der anderen überziehen, kaum auf Weggefährten und Nachahmer hoffen durfte.

Erst am 4. Januar 1996 beantragten drei Jura-Studenten aus Bonn eine einstweilige Anordnung gegen ihre Studentenschaft nach dem inzwischen veröffentlichten Muster aus Münster, am 4. März 1996 folgten zwei Studenten der Wuppertaler Universität und am 16. September 1996 ein Student der Universität Gießen. Neben lokalen Besonderheiten waren immer die Unterstützung der Anti-Atom-Bewegung und der terroristischen PKK gute Gründe für die Anträge. Ein Student aus Marburg lieh sich die Prozeßakte des Klägers aus Gießen und bekam ebenfalls eine einstweilige Anordnung gegen seinen AStA. Es folgten sechs Studenten aus Potsdam, der Kläger aus Bremen und zehn Studenten der Freien Universität Berlin. Gegenwärtig formiert sich eine neue Gruppe, die an der Universität Bielefeld klagen will. Bemerkenswert ist vielleicht, daß einer der Kläger aus Potsdam in seiner Heimatstadt der SPD angehört und sich wirklich nur darüber ärgerte, daß sein AStA mit 1250 DM den CASTOR-Widerstand in Gorleben unterstützte. Außerdem gehört zu der Gruppe in Potsdam die erste Frau, die ihre Grundrechte gegen den AStA verteidigt.


6. Rechtsprechung oder Rechtsbeugung?

Der linke Terror gegen den Kläger in Münster erfolgte nicht nur auf der Straße, am Telefon und in der Presse ("Neues Deutschland", 30. September 1994, S. 14: "der Paragraphenwurm"), sondern auch an einem Ort, wo man ihn im angeblichen Rechtsstaat Nordrhein-Westfalen nicht unbedingt vermuten würde: Im Verwaltungsgericht Münster.

Die Kammer des Präsidenten Fischer hat in den "Eilverfahren" zur Sicherstellung des vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage der einstweiligen Anordnung vom 6. September 1994 eine besonders perfide Rechtsprechung entwickelt. Dabei ist der Ausdruck "Rechtsprechung" eigentlich unzutreffend, sie findet nämlich kaum statt, man muß sich das Handeln oder Unterlassen der Präsidentenkammer eher als Justizverweigerung vorstellen: Die "Eilverfahren" sind uneffektiv lang und der AStA kann in dieser Zeit seine rechts- und verfassungswidrigen Umtriebe fortsetzen. Allein die fünf Vollstreckungsverfahren von 1995 dauerten zwischen 295 und 428 Tagen (davon gingen 78 und 102 Tage auf das Konto des OVG NW).

Am 31. Dezember 1997 vergammelten fünf andere Vollstreckungsverfahren - Eilsachen - beim VG Münster und erreichten das biblische Alter von maximal 407 Tagen. Die statistische Verfahrensdauer der Vollstreckungen gegen die Studentenschaft betrug damals in der Kammer von Präsident Fischer 180 Tage - das war vor einem halben Jahr! Vergleichbare Fälle beim VG Gießen und beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel (HessVGH) dauerten 20 und 25 Tage, im Durchschnitt 46 Tage.

Und wenn irgendwann doch entschieden werden muß, geht das z. B. so (VG Münster, 1 M 5/95): Die Studentenschaft hatte in ihrer Zeitung "Links vorm Schloß" im November 1994 die sogenannte Nationalhymne der ehemaligen "DDR" vollständig und unkommentiert abgedruckt. Das VG fand das in Ordnung. Beschluß vom 18. September 1995:

»Der auf Seite 2 abgedruckte Text "Auferstanden aus Ruinen" von Johannes R. Becher enthält keine politische Erklärung, Stellungnahme oder Forderung der Antragsgegnerin. Der Text ist zwar eminent politisch, und zwar sowohl im Hinblick auf die geschichtliche Situation zur Zeit seiner Entstehung als auch - und insbesondere - deshalb, weil es sich um den Text der Nationalhymne der DDR handelt. Er kann im übrigen auch nicht als "spezifisch und unmittelbar hochschulbezogen" bezeichnet werden. Seine Veröffentlichung in der Rubrik "Kultur", in der ausweislich der dem Gericht im übrigen vorliegenden Exemplare des Magazins "Links vorm Schloß" regelmäßig literarische Texte verschiedener Art veröffentlicht werden, enthält indes nicht ohne weiteres eine dem Leser hinreichend deutlich werdende politische Meinungskundgabe oder Wertung, die der Studentenschaft zugeschrieben werden könnte. Es ist nicht klar ersichtlich, daß der Inhalt des Textes oder seine zeitgeschichtliche Bedeutung als Medium einer politischen Aussage der Antragsgegnerin dient.«

Auch das OVG NW schämte sich nicht, diesen Unsinn zu bestätigen (Beschluß vom 6. Dezember 1995, 25 E 1082/95):

»Bei dem Gedicht "Auferstanden aus Ruinen" von Johannes R. Becher, dem Text der Nationalhymne der ehemaligen

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DDR, handelt es sich um eine Äußerung, deren kompetenzrechtliche Zulässigkeit sich mit den auf eine summarische Prüfung beschränkten Mitteln des einstweiligen Anordnungsverfahrens weder eindeutig bejahen noch verneinen läßt. Bereits das Verwaltungsgericht hat zu Recht auf den übergreifenden Zusammenhang hingewiesen, in den dieses Gedicht durch seine Veröffentlichung in der Rubrik "Kultur" gestellt ist, ... . Zudem ist der vom Vollstreckungsgläubiger hergestellte politische Bezug zu den Staatsidealen der ehemaligen DDR maßgeblich dadurch relativiert, daß der Text des Gedichtes wegen des Widerspruchs der Passage "Deutschland, einig Vaterland" zur SED-Politik in der nationalen Frage seit Beginn der siebziger Jahre auch bei offiziellen Anlässen nicht mehr gesungen sondern nur noch die Melodie gespielt worden ist. Diese beiden Gesichtspunkte können die Annahme rechtfertigen, die Vollstreckungsschuldnerin verfolge mit der Veröffentlichung in erster Linie ein literarisches, nicht ein politisches Anliegen. In diesem Fall hätte sie damit die kulturellen Belange ihrer Mitglieder wahrgenommen, ... .«

Es kam noch schlimmer: In demselben Beschluß erlaubt das OVG NW dem AStA »einen "Brückenschlag" zu allgemeinpolitischen Fragestellungen«. Abweichend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) und ohne ein Wort der Begründung für diese Abweichung entschied der 25. Senat: "Bei der Frage, ob in solchen Fällen Aktivitäten der Studentenschaft von der gesetzlichen Aufgabenzuweisung noch gedeckt sind, darf kein zu kleinlicher Maßstab angelegt werden, ... . Es liegt daher nicht immer schon dann ein Kompetenzverstoß vor, wenn bei der Bearbeitung eines Themas die allgemeinpolitische Aussage ein erhebliches Gewicht erhält, solange der Bezug zur Hochschule noch unverkennbar ist."

Erfunden wurde der "Brückenschlag" selbstverständlich von einem Richter des 25. Senats, Joachim Büge, aber leider nicht als wissenschaftliche Auseinandersetzung (insbesondere mit dem Urteil vom 17. Dezember 1981 = BVerwGE 64, 298) sondern in einem drei Seiten langen Interview, daß er der Studentenschaft für ihre Zeitschrift "Semesterspiegel" Nr. 284 vom Januar 1995 gab, mit zwei Fotos, die Büge (mit einem Mikrophon in der Hand) bei seiner ganz privaten "Rechtsprechung" für eine Partei des Verfahrens zeigen. Einseitig?

Außerdem enthält der Beschluß vom 6. Dezember 1995 noch eine Neuheit. Die einstweilige Anordnung gegen die Studentenschaft ist ein Vollstreckungstitel "zweiter Klasse". Zitat: "Er erfaßt ... nur solche Stellungnahmen zu allgemeinpolitischen Fragestellungen, die die Grenze zwischen zulässiger Wahrnehmung hochschulpolitischer Belange und unzulässiger Wahrnehmung des allgemeinpolitischen Mandats zweifelsfrei überschreiten. ...

Äußerungen hingegen, deren kompetenzrechtliche Zulässigkeit sich mit den auf eine summarische Prüfung beschränkten Mitteln des einstweiligen Anordnungsverfahrens weder eindeutig bejahen noch verneinen läßt, sind nicht zum Gegenstand des Ausgangsverfahrens gemacht worden und daher mit dem erlassenen Vollstreckungstitel auch nicht sanktionierbar."

Wenn man diese Auffassung nachvollzieht, drängt sich die Frage auf, warum die Entscheidungen 200, 300 oder 400 Tage dauern, wenn schon eine "summarische Prüfung" - also auf den ersten Blick - ergibt, daß der AStA "zweifelsfrei" seine Grenzen überschritten hat.


7. Verurteilungen

In Münster wurde die Studentenschaft in fünf Vollstreckungsverfahren zu Ordnungsgeldern in Höhe von insgesamt 6000 DM verurteilt. Außerdem hatte sie die Kosten dieser Verfahren zu tragen. Der Schaden am Vermögen der Studentenschaft beträgt also ungefähr 10.000 DM und müßte gemäß Paragraph 79 Abs. 7 des Universitätsgesetzes von den Verursachern ersetzt werden. Unabhängig davon hat die Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob der AStA-Vorsitzende und seine Referenten das Vermögen der Studentenschaft gemäß Paragraph 266 StGB veruntreut haben könnten. Wen wundert es noch: Die Staatsanwaltschaft Münster hat sich den Spitznamen "Einstellungsbehörde für Ermittlungsverfahren gegen AStA-Mitglieder" ehrlich verdient. Angeklagt hat sie seit 1994 nur den ehemaligen "Schwulenreferenten" des AStA, Arndt Klocke, als dieser im Rundfunk den Kläger als "eine gescheiterte, verkrachte Existenz" beleidigte. - Daraufhin zahlte der Angeklagte unaufgefordert ein Schmerzensgeld von 500 DM an den Kläger und die Staatsanwaltschaft stimmte einer Einstellung des Verfahrens bei Zahlung weiterer 200 DM in die Gerichtskasse zu. Billig, billig!

In Gießen wurde die Studentenschaft zu einem Ordnungsgeld von zehntausend Deutsche Mark nebst Verfahrenskosten verurteilt, als ihr AStA sich an einer Kuba-Reise des DKP-Mitglieds Gunter Geis finanziell beteiligte.

Geis zitiert den Gießener AStA-Referenten Eike Hebeker in der DKP-Zeitung vom Juli 1997: "Es könnte politische Gründe geben, um eine solche Delegation zu unterstützen, auf die darf sich der AStA heutzutage aber nicht mehr berufen". Und in der Tageszeitung "junge Welt" vom 9. Juli 1997 schreibt Hebeker als Autor: "Natürlich läßt sich eine Reise auch als Stellungnahme oder Solidaritätsbekundung deuten - ... ein Schuft, wer solches dabei denkt."

Auch in Gießen hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die AStA-Mitglieder eingestellt. Seine Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHSt 30, 247 = NJW 1982, 346) muß der Staatsanwalt Martin Vaupel nicht begründen. Sein Trick ist ebenso genial wie einfach: "Es ist nicht ersichtlich, daß durch den Antrag vom 28.04.1997 an das Studentenparlament der Uni Gießen ein bezifferbarer Vermögensschaden entstanden ist" (Einstellungsverfügung vom 6. Mai 1998, 7 Js 24414.0/97).


8. Schlußbemerkungen

Wer diese Ignoranz tagtäglich erlebt, steht immer wieder vor der Frage: Lohnt es sich überhaupt, seine Grundrechte gegen den AStA zu verteidigen?

Wer diesen Schritt wagt, steht ziemlich allein auf weiter Flur. Er wird von seinen Prozeßgegnern öffentlich beleidigt, verleumdet, verhöhnt und verächtlich gemacht. Die Hochschulleitung solidarisiert sich nicht mit dem Kläger sondern mit den Leuten aus dem eigenen Haus - auch wenn die Studentenschaft als notorische Rechtsbrecherin verurteilt wird. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte fühlen sich von einem "Querulanten" belästigt, der den armen AStA doch in Ruhe lassen soll. Grüne und rote Politiker in den Landtagen ändern die Hochschulgesetze. Das Recht wird pervertiert: Der Rechtsbruch von gestern ist morgen als "Aufgabe der Studentenschaft" nicht mehr strafbar, auch wenn an einer großen Universität ein allgemeinpolitisch aktiver AStA schnell einmal 40.000 oder 50.000 Studenten in ihren Grundrechten verletzt. Aber diese Verletzungen bereiten keine körperlichen Schmerzen und deshalb schreien so wenig Studenten laut auf gegen das verfassungswidrige Unrecht aus dem AStA.

* Weitere Informationen, juristische und wissenschaftliche Daten:
 http://www.institut-fuer-hochschulrecht.de


"Die Risiken des Allgemeinen Politischen Mandats sind doch heute eindrucksvoll vor Augen geführt worden. Gewalt, Eskalation, Ausländerpolitik, Terrorismus, PKK, Asylpolitik, Drogenpolitik, Päderastie, Kinderpornographie, Hureninitiative, Anti-Atom-Politik - na eben alles, womit sich der Allgemeine Studentenausschuß so beschäftigt."

Vgl. Dietrich Schwanitz, "Der Zirkel", Roman,
Verlag Eichborn, August 1998, S. 218


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